Mariazell hilft: „Solidarität ist mehr wert als Liquidität“
09.04.2020
Das Geschäftsleben steht aufgrund der Corona-Krise weitgehend still. Findige Wirtschaftstreibende im im Raum Mariazell trotzen dem Umsatzausfall mit einem Gutschein-Modell, das auch von der Raiffeisenbank Mariazellerland kräftig unterstützt wird.
Normalerweise beginnen mit Ostern die Geschäfte im Wallfahrtsort Mariazell zu florieren. Die ersten Pilger und Tagesgäste kommen zu den Feierlichkeiten in die Basilika und Einheimische kaufen ihre Ostergeschenke gerne vor Ort. Die derzeitigen Ausgangsbeschränkungen und Betriebssperren haben das Leben der Unternehmer und Kunden allerdings auf den Kopf gestellt. Einkehr und Stille haben selbst im wichtigsten Pilgerort Österreichs noch einmal eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Aber Not macht bekanntlich erfinderisch und so haben der Hotelier Peter Kroneis mit seiner Familie und gemeinsam mit Werner Girrer von der Internetplattform mariazell.at nach dem ersten Corona-Schock die Idee eines gemeinsamen Onlineshops für Gutscheine der Mariazeller Betriebe gesponnen. Mit dem Ziel, der regionalen Wirtschaft durch die herausfordernde Zeit zu helfen und Arbeitsplätze zu sichern, steht die Plattform den Betrieben kostenlos zur Verfügung.
Ob Margit's Schuhe, die Haarschneiderei, die Änderungsschneiderin, der Masseur, die Uhrengeschäfte, das Brauhaus Mariazell oder der Lurgbauer - vom Handel über Dienstleister bis zu Gastronomie und Beherbergungsbetrieben - sie alle versammeln sich auf der Online-Gutschein-Plattform. "Jeder muss natürlich auf sein eigenes Geschäft schauen, aber manches geht halt nur gemeinsam. Es ist ein Paradeschulterschluss, der in aller Kürze umgesetzt werden konnte", freut sich Kroneis über den großen Zuspruch.
Übers Wochenende wurde der Online-Shop aufgesetzt, auf Anhieb haben sich 19 Betriebe gemeldet. Nun bieten bereits mehr als 60 Unternehmen ihre Gutscheine von 10 bis 100 Euro an. "Das Schöne ist, dass auch die Gemeinde auf die Eigeninitiative der Wirtschaft aufgesprungen ist. Genau so soll es sein", sagt Kroneis. Der Wert sämtlicher Gutscheine wird von der Stadtgemeinde Mariazell um 20 Prozent erhöht, um so noch mehr Kunden zum Gutscheinkauf bei den heimischen Betrieben zu motivieren. Der gekaufte Gutschein über 100 Euro ist also 120 Euro wert. Diese ursprüngich befristete Wirtschaftsförderung wurde zeitlich verlängert und von der Stadtgemeinde bereits von 10.000 auf 20.000 Euro aufgestockt. Ein privater Sponsor, der nicht genannt werden möchte, hat ebenso 5.000 Euro bereitgestellt wie auch die Wirtschaftskammer Steiermark. Da sich das Mariazeller Land von der Steiermark bis nach Niederösterreich erstreckt, hat sich auch die Gemeinde Mitterbach dieser Aktion angeschlossen und übernimmt den Zuschuss für alle Shopteilnehmer aus Mitterbach.
Gemeinsames Umdenken
Nicht erst seit dem Gemeinde-Bonus besteht eine starke Nachfrage nach den Gutscheinen. Nach einer Woche wurden im Shop bereits über 67.000 Euro umgesetzt. "Die großen Profiteure unserer Aktion sind die Ein-Personen-Betriebe", analysiert Werner Girrer das digitale Kaufverhalten. Girrer und sein Mitarbeiter arbeiten 15 Stunden am Tag, um die Bestellungen abzuarbeiten - kostenlos versteht sich: "Das ist mein Beitrag zur Krisenbewältigung."
Dass die Aktion auf derart positive Rückmeldungen stößt, hat die Initiatoren selbst überrascht oder wie Peter Kroneis vom Hotel Drei Hasen es formuliert: "Die Solidarität ist viel mehr wert als die wirkliche Liquidität, die daraus entsteht. Die Bewusstseinsstärkung war mir wichtig, selbst wenn jetzt nicht der große Run für den einzelnen Betrieb dabei sein sollte." Bei vielen Konsumenten sei das Umdenken bereits gelungen, dass regionale Arbeitsplätze und Wertschöpfung nicht über Bestellungen bei den großen Internethändlern gesichert oder geschaffen werden.
Verantwortung übernehmen
Rechtlich begleitet wird die Aktion von der Wirtschaftskammer Steiermark, die auch den Kontakt zu den Unternehmern in der Region hergestellt hat. Die Raiffeisenbank Mariazellerland hat sich ebenfalls sofort bereit erklärt, rasch und unbürokratisch nicht nur die finanzielle Abwicklung der Bestellungen zu übernehmen, sondern auch sämtliche Transaktionsgebühren des Zahlungsdienstleisters Klarna, der die sichere Zahlung im Online-Shop abwickelt. Für Kroneis ist die Unterstützung der Raiffeisenbank eine "Riesensache", denn "dem Betrieb bleiben vom 100-Euro-Gutschein dadurch wirklich 100 Euro - durch die Gemeinde jetzt sogar 120 Euro".
Die Raiffeisenbank Mariazellerland hat dazu ein Treuhandkonto eingerichtet und bekommt bei jedem Einkauf per Mail automatisch sämtliche Bestelldaten, um den Gesamtbetrag den Betrieben korrekt zuordnen zu können. Die von der Bestellung betroffenen Unternehmen versenden den entsprechenden Gutschein an den Kunden. In regelmäßigen Abständen - voraussichtlich ein Mal pro Woche - überweist die Raiffeisenbank die Erlöse an die Betriebe. "Wir tragen Verantwortung für unsere Firmenkunden und unterstützen damit die heimische Wirtschaft. Wenn es den Firmenkunden gut geht, dann geht es auch uns gut - also profitieren auch wir indirekt von dieser Initiative", erklärt Florian Glitzner, Geschäftsleiter der Raiffeisenbank Mariazellerland, die über 50 Prozent Marktanteil bei Geschäftskunden hält.
"Es ist ein perfektes Zusammenspiel von Wirtschaft, Bank und Politik", betont Kroneis und sieht das Mariazeller Modell als rasch übertragbares Vorbild auch für andere Regionen Österreichs. Im steirischen Wallfahrtsort hat die Pandemie jedenfalls für einen Solidaritätsschub gesorgt, der noch weit über die Beschränkungen hinausreichen soll. Der Hotelier blickt bereits optimistisch auf den Sommer und rechnet damit, dass heuer der Urlaub daheim und das Pilgern hoch im Kurs stehen werden: "Mariazell ist schon immer ein gewisser Kraftort gewesen."