Konjunkturgespräch: Es ist ökonomisch zu kühl in Europa

26.04.2012

Vorsicht und Zurückhaltung haben das 23. „Konjunkturgespräch Steiermark“ von Raiffeisen-Landesbank Steiermark (RLB), Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und der Industriellenvereinigung geprägt. Tenor: Nach der Konjunkturdelle 2011 gibt es eine zögerliche Erholung.

Das Konjunkturgespräch der Raiffeisen-Landesbank gehört seit vielen Jahren zu den Fixpunkten des steirischen Wirtschaftslebens. „Es besteht aus Konstanten und Variablen“, betonte RLB-General Markus Mair. „Konstant sind der Name, die Tatsache, dass wir an die Konjuktur- und die Konjunkturprognosen glauben, das WIFO, der Saal und vor allem der Mehrwert, den wir unseren Gästen mit dem Konjunkturgespräch bieten wollen. Alles andere ist variabel.“ Mit Genugtuung bemerkte Markus Mair, dass sich in der Steiermark etwas bewegt. „Wir haben wirtschaftlich und politisch schwierige Jahre hinter uns. Jetzt gibt es endlich Bewegung.“

Dass das 23. Konjunkturgespräch just am Namenstag des RLB-Generaldirektors, am 25. April, stattfand, hätte kaum passender sein können, ist doch der Heilige Markus unter anderem der Schutzpatron für gutes Wetter und eine gute Ernte. Mit beidem sah es zuletzt nicht rosig aus, weder wirtschaftlich noch klimatisch.

Darauf ging auch der erste Referent, Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, ein und nahm dabei eine Anleihe bei der Landwirtschaft. „Es gibt immer eine Feldfrucht, für die das Wetter nicht passt. Genauso ist es mit der Wirtschaft. Was in der Vergangenheit gegolten hat, das ändert sich nun. Heute fürchtet sich zum Beispiel niemand mehr vor Japan. Wenn die USA verkühlt sind, bekommen wir keine Lungenentzündung, und China kehrt zu seiner Bedeutung von 1850 zurück. Die Jahre nach 1945 waren die Ausnahme. Jetzt geht es zurück zu alter Bedeutung“. Neben der Konjunktur war China das Thema beim 23. Konjunkturgespräch. Das Wachstum in China hat sich etwas verlangsamt, ist aber im Vergleich zu Europa und den USA noch immer recht stark.

Große Probleme sieht Helmenstein in der Eurozone. Hier sieht er eine Zweiteilung in jene Länder, deren BIP schrumpft, und jene, deren BIP steigt. Bei den schrumpfenden Ländern handelt es sich hauptsächlich um südliche Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien und Italien. Zu den wachsenden zählt Helmenstein auch Österreich. Enormes Wachstumspotential sieht Helmenstein auch in Zentral- und Osteuropa. Neben den vielen Herausforderungen, denen sich Österreich stellen muss, sieht er die größte in einer sich auftuenden Arbeitskräftelücke: „In Deutschland kommt sie demnächst, in Österreich in rund zehn Jahren.“ An das Publikum gerichtet meinte er: „Ich rate ihnen, investieren sie in Mitarbeiterbindungsprogramme, sonst werden ihnen die besten Mitarbeiter nach Deutschland abwandern.“ In Summe sieht der Experte „bessere, aber auch volatilere Zeiten“ auf uns zukommen.

Auch WIFO-Chef Prof. Karl Aiginger nahm in seinem Vortrag eine Anleihe beim Wetter: „Es ist in Europa zu kühl für die Jahreszeit.“ Mit sichtlichem Stolz kommentierte er seine Prognose von vor einem Jahr. „Es gibt eine geringe Wahrscheinlichkeit für einen großen Rückschlag. Aber eine große Wahrscheinlichkeit für  kleinere Rückschläge“, so Aiginger damals. „So ist es auch gekommen. Wir hatten eine kleine Konjunkturdelle zur Jahreswende 2011/2012. Nun erholen wir uns langsam wieder“, so der Professor. „Als Gründe für die Konjunkturdelle ortete Aiginger, dass die Exporte nach zwei Jahren nachgelassen haben, dass die Investitionen wegen der niedrigen Auslastung schwach waren und der Konsum unter der sinkenden Kaufkraft gelitten hat." Dazu kamen Unsicherheiten und Ungleichgewichte in der Weltkonjunktur, hohe Defizite und Konsolidierungen in vielen europäischen Ländern und politisches Zögern mit einer Portion Populismus.

„Im April ist die Hoffnung zurückgehkehrt. Das größte Risiko ist die fehlende Aktivstrategie“, so Aiginger. „Zumindest lebt aber noch der Österreich-Bonus, denn Österreich liegt noch immer besser als der Euro-Raum. 2012 ist es das zwölfte Jahr in Folge.“ So gibt es noch immer einen deutlichen Leistungsbilanzüberschuss. Die Arbeitslosigkeit ist bei uns viel moderater als in anderen Ländern und auch beim kurz- und mittelfristigen Wachstum sieht Aiginger Österreich vor der EU. „Ich rechne bis 2025 für Österreich mit einem Wachstum von 1,7 bis 2,1 %. Die EU sehe ich bei 1,5 bis 1,8 %.“ Im Vergleich zur Weltkonjunktur (3,5 %), den USA (2 bis 2,5 %) oder gar China (5 bis 7 %) ist das deutlich schwächer. „Das Wachstum nach der Krise ist schwächer als das Wachstum vor der Krise. Europa entwickelt sich schwächer als die USA.“

Eine Lanze brach Karl Aiginger hingegen einmal mehr für den Euro. „Der Euro ist heute stärker als bei seiner Einführung, trotz Ungleichgewicht in der EU. Ich will, dass kein Land herausfällt, weil das enorme Auswirkungen auf alle anderen hätte.“ Er mahnte aber auch ein, dass eine gemeinsame Währung ein gemeinsames Makrobudget braucht. Der Idee eines Kerneuropas erteilte der Professor eine klare Absage. „Frankreich, Belgien und die Niederlande zählen auf Grund ihrer wirtschaftlichen und politischen Situation nicht dazu. Kerneuropa könnte damit eigentlich nur aus Deutschland, Österreich und Finnland mit Frankreich als Ehrenmitglied bestehen.“ Das Europa der Zukunft sieht Karl Aiginger größer. Es reicht bis zur weiteren Nachbarschaft nach Russland und Nordafrika. „Europa kann wählen. Will es klein, homogen und wenig dynamisch, oder eine heterogene dynamische Wirtschaftsmacht sein“, so Aiginger. Einmal mehr mahnte der WIFO-Chef Reformen in Österreich ein. „Wir brauchen tiefgreifende Reformen, vor allem im Bereich Bildung, Forschung und Umwelt.“

Mit der Situation in China beschäftigte sich der dortige Raiffeisenbank-International-(RBI)-Niederlassungsleiter Andreas Werner. Er ging vor allem auf den momentanen Machtkampf im Volkskongress ein. Dabei staunte das Publikum nicht schlecht, wer in China wie und vor allem warum das Sagen hat. Werners Kernaussage: „Jiang Ze-min lebt, entgegen anderen Aussagen. Bo Xi-lai wollte das Chaos nach Jiang Ze-mins Tod nutzen. Aber trotz Anheizen der Gerüchteküche ist China stabil.“ Als eines der Hauptprobleme Chinas ortet Werner die wachsende Korruption. „Sie hat sich von Einzeltätern zu Gruppen gewandelt. Das macht sie schwerer bekämpfbar.“ Egal, wie der Machtkampf ausgeht: Andreas Werner ist sich sicher, dass politische Reformen unvermeidbar sind. Eine westliche Demokratie sieht er nicht. Die Partei wird zwar an der Macht bleiben, aber innerhalb der Partei wird es Veränderungen geben. Werner erwartet aber auch, dass sich die Wirtschaft dramatisch ändern wird: „Der Binnenkonsum wird wichtiger werden. Wirtschaftlich wird sich das Wachstum Chinas zwar etwas verlangsamen. Es ist mit 7 bis 8 % aber immer noch recht gut.“ Der Kampf um Rohstoffe wird noch stärker. „China geht in politisch schwierige Länder. Dorthin, wo die anderen nicht hingehen. Zum Beispiel nach Afrika.“ Muss man sich vor China fürchten? Andreas Werner: „Nein. Die Situation ist ähnlich der in Japan vor einigen Jahren. Wer fürchtet sich heute vor Japan?“

Im Anschluss an die Statements diskutierten Landesrat Christian Buchmann, RBI-Niederlassungsleiter Andreas Werner und Thomas Obenauf, Finanzvorstand von AT & S unter der Leitung von Moderatorin und langjähriger China-Korrespondentin Cornelia Vospernik. Tenor: Im Kleinen funktioniert oft vieles nicht, im Großen aber bestens und innerhalb Chinas gibt es große Unterschiede. Die sind oft so groß wie bei uns die Unterschiede zwischen Finnen und Italienern.